Freie Kommunikation ist die Essenz des Menschseins

Im Folgenden werde ich – durch meinen Gemütszustand etwas angefeuert – darlegen, wieso digitale Kommunikationsüberwachung Gift für unsere Gesellschaft ist, weil sie nichts anderes als Millionen Abhörwanzen und Kameras in unseren privatesten Räumen ist.

Seit einigen Monaten hat sich ein Grundkonflikt in den politischen Debatten verstärkt: Welche Kommunikation sollte überwacht werden dürfen und welche nicht? Ausschließlich inländische Kommunikation? Geschäftliche E-Mails? Telefongespräche über 20 Sekunden Dauer?

Und parallel dazu bekomme ich seit mehreren Monaten regelmäßig Wutanfälle, nämlich wenn ich Kommentare von „Experten“ und Laien lese, die solche künstliche Trennungen von Kommunikation und deren unterschiedliche Bewertung immer noch ernsthaft in Erwägung ziehen.

Wieso ist Kommunikation = Kommunikation?

Weil Kommunikation – in welcher Form auch immer – schützenswert ist und privat bleiben muss, weil wir uns sonst als Gesellschaft aufgeben. Es ist witzlos, gesetzlich eine künstliche Trennung zwischen Kommunikationsarten ziehen zu wollen. Nur die Ewiggestrigen können ernsthaft vorhaben, analoge und digitale Unterhaltung, Schriftwechsel und Meinungsaustausch zu trennen und deren Inhalt unterschiedlich zu behandeln.

Ja, die technischen Wege der Kommunikationsformen sind unterschiedlich: Bei der einen rege ich durch Muskelbewegungen Vibrationen in der Luft an, die bei meinem Gegenüber im Ohr zu sinnvollen Informationen verarbeitet werden. Bei der anderen schicke ich (un)willkürlich Nullen und Einsen durch Netzwerke, die durch immer noch atemberaubende Technik an der anderen Seite wieder lesbar werden. Doch die Qualität ist dieselbe.

Stellen wir uns einmal vor…

Nehmen wir ein realitätsnahes Beispiel: Frau und Herr Schuster.

  1. Es ist in unser aller Selbstverständnis, dass diese beiden Personen sich private, intime oder auch komplett irrelevante Nachrichten zukommen lassen dürfen, die keinen Staat und kein Unternehmen dieser Welt etwas angehen.
  2. Dabei sollte es ebenso common sense sein, dass es auch gleich sein sollte, ob einer der beiden Ausländer ist, sich im Ausland befindet oder beide beim bei einem deutschen E-Mail-Provider sind.
  3. Es sollte auch vollkommen egal sein, ob die beiden sich die Nachrichten sprachlich, per Telefon oder digital zukommen lassen.
  4. Ein weiterer logischer Denkschritt ist, dass sich dieses Recht auf private, unüberwachte und sichere Kommunikation nicht nur auf Eheleute, sondern auf jede natürliche Person beziehen muss, egal in welchem Verhältnis sie zueinander stehen.

Momentan ist in den meisten von uns der Gedanke verankert, dass das, was wir einer Person persönlich analog sagen, privat ist. Wir kommen nicht auf die Idee, dass sich zwischen dem einen und den anderen Ohr eine Abhörwanze befindet. Doch die Grenzen zwischen analoger und digitaler Kommunikation verschwimmen allmählich. Wenn ich heutzutage meine jugendlichen Gruppenkinder beobachte, wie sie ihre ersten Beziehungen pflegen, so wird klar, dass sie private und intime Informationen analog und digital gleich behandeln. WhatsApp und ähnliche Dienste ersetzen nicht persönliche Unterhaltungen, sondern nehmen einfach denselben Stellenrang ein. Deshalb schicken sie sich auch digital intime Bilder: Was für uns ältere Generationen nur im sprichwörtlichen Schlafzimmer möglich war, passiert nun in einem vermeintlich privaten digitalen Raum. Für die Jüngeren ergibt eine analoge Trennung in einem digitalen Raum keinen Sinn. Kommentare wie der unseres neuen EU-Digitalkommissars Oettinger über die Dummheit dieser Generation sind daher weitab der Realität.

Wanzen und Kameras verändern uns

Doch was meinen Gruppenkindern (zum Glück?) noch fehlt, ist der Sinn dafür, sein Verhalten zu verändern, wenn man sich überwacht fühlt. Wieder nehmen wir unser Beispiel der Familie Schuster. Würde der Mann der Frau noch schöne Worte ins Ohr flüstern, wenn er wüsste, dass seine Kommunikation möglicherweise von einem Geheimdienstler, Unternehmen oder einer Polizistin abgehört werden könnte? Ich glaube nicht.

Genauso wenig würde sie wahrscheinlich ihre möglicherweise sehr linke politische Denkweise in einem privaten Gespräch offenbaren. Wer weiß schon, welche politischen Kräfte in zehn oder zwanzig Jahren wirken und ob diese nicht auf Überwachungsmaterial von früher zugreifen, um die Bevölkerung „einschätzen“ zu können?

Kurzum: Menschen ändern ihr Verhalten drastisch, wenn sie sich belauscht und beobachten fühlen. Und bei einem weiteren Blick in die Zukunft wird dieses Dilemma noch stärker: Heute schreiben wir zwar E-Mails und Kurznachrichten und die Trennung zwischen analoger und digitaler Kommunikation ist noch einigermaßen verständlich. Doch wie sieht das in zehn oder zwanzig Jahren aus? Möglicherweise können wir uns da schon Gedanken schicken, E-Mails könnten intuitiv verfasst und dann beim Empfänger direkt hörbar abgespielt werden. Durch Virtual Reality-Technik könnte man auch bei räumlicher Trennung beieinander sein, über digitale Kanäle vernetzt.

Und jetzt stellen wir uns mal vor, jegliche digitale Kommunikation könnte auch in Zukunft – so wie heute schon selbstverständlich – überwacht, angezapft, gespeichert und ausgewertet werden. Und meine Gruppenkinder würden dann anfangen zu verstehen, dass sie bei jeglichem Kontakt, der nicht komplett analog und geheim stattfindet, überwacht werden würden. Wären die kommenden Generationen noch freie Menschen oder schlicht Gefangene in gläsernen Zellen, umzingelt von Wanzen und Kameras?

Als Jugendlicher hatte ich unglaubliche Vorfreude auf eine digitale Zukunft mit tausenden neuen Möglichkeiten. Heute habe ich Angst davor, was für eine Macht dort staatlichen und privaten Interessen zugeschanzt werden könnte und wie ich meine Verhaltensweisen dementsprechend anpassen muss, um mich nicht selbst zu stark verändern zu müssen.

Übertreibe ich nur oder geht es anderen auch so?



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